Whatsapp im Einsatz

Wenn ich mich in meinem Umfeld umsehe, stelle ich fest, dass ich fast der Einzige bin, der Whatsapp nicht nutzt. Das hat nichts damit zu tun, dass ich mit der Technik auf Kriegsfuß stehe. Das Gegenteil ist der Fall, ich beschäftige mich gerne mit neuen Anwendungen. Aber Whatsapp werde ich weiterhin nicht nutzen. Ich möchte mich weder der ungebremsten Datensammelwut von Facebook noch dem Druck, ein ganz bestimmtes Markenprodukt zu nutzen, unterwerfen.

Whatsapp und Facebook

Whatsapp kann nicht ohne Facebook betrachtet werden. Nicht ohne Grund hat gerade Mark Zuckerberg Whatsapp erworben. Whatsapp ist der Baustein, der es ermöglicht, Internetnutzer zuverlässiger als Person zu identifizieren, als das auf anderen Wegen möglich wäre. Das liegt daran, dass Whatsapp regelmäßig auf dem Handy verwendet wird und der Besitzer das Handy regelmäßig dabei hat.

Die Datensammelwut der großen Konzerne wie Facebook, Twitter und Google ist in aller Munde, aber nur wenige haben sich schon einmal mit dem tatsächlichen Ausmaß beschäftigt. Die meisten dürften individualisierte Werbungen kennen: Habe ich gestern bei Amazon einen bestimmten Artikel angesehen, bekomme ich heute auf einer ganz anderen Internetseite Werbung dazu. Dass die Werbeanzeige im Hintergrund versteigert wird, dürfte kaum jemandem bewusst sein. Während wir auf den Aufbau der Seite warten, bieten im Hintergrund Algorithmen dafür, auf dieser Seite für mich ihre Werbung schalten zu dürfen. [1]

Die dahinter liegende Technik ist mittlerweile so ausgeklügelt, dass eine Identifikation der Nutzer auch geräteübergreifend möglich ist. [2] Beispielsweise betreibe ich rein dienstlich eine Facebook-Seite, und ich konnte schon beobachten, dass ich an einem Tag ein bestimmtes Produkt auf meinem Privatrechner zu Hause angesehen habe und am nächsten Tag auf meinem Dienstrechner am Arbeitsplatz die passende Werbung auf Facebook angezeigt bekomme.

Auch wenn sich jemand der Illusion hingibt, Werbung habe auf sein Kaufverhalten keinerlei Einfluss, muss man doch eine wesentliche Beeinträchtigung feststellen: Alle Internetseiten mit Werbung könnten wesentlich schneller aufgebaut werden, wenn nicht die Algorithmen der Datentracker im Hintergrund erst abgewartet werden müssten.

Außerdem kann Werbung viele Themen betreffen. Auch Werbung für Parteien, Organisationen und Weltanschauungen kann darunter fallen. Wenn dann noch die Algorithmen erkennen, bei welchen Themen wir uns noch keine klare Meinung gebildet haben, ist eine gezielte Einflussnahme leicht vorstellbar.

Darüber hinaus geht es nicht nur um Werbung. Die Datensammelwut hat auch ganz andere Auswirkungen.

Reichsbürger dank Facebook?

Ich bin beispielsweise fest davon überzeugt, dass wir das Problem der Reichsbürgerbewegung Facebook zu verdanken haben. Warum?

Wer bei Facebook angemeldet ist, weiß, dass jedem Nutzer immer wieder andere Profile angeboten werden – Personen, die man kennen könnte, Themen, die einen interessieren könnten. Diese Vorschläge beruhen auf Algorithmen von Facebook, die das Unternehmen nicht offenlegt. Naheliegend ist natürlich, dass Freunde der Freunde angeboten werden. Aber die Algorithmen sind viel komplexer. Zum Beispiel werden Profile vorgeschlagen, unter denen ähnliche Mitteilungen gepostet werden wie unter dem eigenen. Es wird also die eigene Filterblase bestärkt.

Am zuverlässigsten sind diese Vorschläge natürlich, wenn markante Nachrichten im Spiel sind und nicht nur Mainstream-Inhalte. Besonders zuverlässig dürfte das bei radikalem Gedankengut funktionieren.

Aber auch der Standort spielt eine Rolle. [3] War man zwei Stunden auf derselben Pegida-Demo, wird Facebook das möglicherweise schon am nächsten Tag bei den Kontaktvorschlägen berücksichtigen. Das gilt natürlich für Demonstrationen jeder Art.

Dabei dürfte es übrigens nicht von überragender Bedeutung sein, ob man die Ortungsfunktionen eingeschaltet hat. Ich habe die Ortungsfunktionen bei meinem Tablet beispielsweise immer ausgeschaltet und erhalte dennoch auf jeder Reise ohne mein Zutun lokale Nachrichten aus meinem jeweiligen Aufenthaltsort.

Zurück zu den Reichsbürgern: Während vor dreißig Jahren einzelne Personen, die in Hamburg und München auf ähnliche abstruse Ideen gekommen sind, nie voneinander erfahren haben, werden sie heute, sofern sie Facebook nutzen, durch die Algorithmen zusammengeführt. Gleichzeitig werden weitere Nutzer mitgenommen, die anfällig für solche Theorien sind, auch wenn sie sie niemals selbst entwickeln könnten. Und plötzlich entsteht eine Bewegung. Mehr und mehr Nutzer radikalisieren sich und werden immer weiter mit verstärkenden Inhalten beliefert.

Für die Radikalisierung über soziale Netzwerke gibt es ein anderes interessantes Beispiel: Microsoft musste 2016 einen Bot, der auf Twitter angemeldet war, vom Netz nehmen, weil er sich innerhalb von 24 Stunden radikalisiert hatte. [4] [5] [6] Offenbar werden ohnehin rechtsextreme Auffassungen besonders oft von den Algorithmen angeboten. Im Falle von Facebook scheint nicht einmal dem Unternehmen selbst klar zu sein, warum das so ist. [7] Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch die Aussage eines NPD-Politikers, Facebook sei der einzige Ort, an dem man sich noch neutral informieren könne. [8]

Aber ich bin doch gar nicht bei Facebook!

Vielen ist nicht bewusst, dass Facebook auch Daten über Internetnutzer sammelt, die sich gar nicht bei Facebook registriert haben. Es ist also völlig unerheblich, ob man sich schon einmal bei Facebook angemeldet hat. [9] [10]

Und nun kommt Whatsapp hinzu. In den Nutzungsbedingungen wird unverhohlen aufgeführt, was Whatsapp alles tut. Dort steht beispielsweise: „Du stellst uns regelmäßig die Telefonnummern in deinem Mobiltelefon-Adressbuch zur Verfügung, darunter sowohl die Nummern von Nutzern unserer Dienste als auch die von deinen sonstigen Kontakten.“ [11] Auch wenn ich selbst Whatsapp nicht nutze: Whatsapp kennt mich schon, weil meine Freunde, natürlich ohne mich zu fragen, meine Kontaktdaten hochgeladen haben. Sie haben es vielleicht nicht einmal gemerkt. Dabei ist das sogar illegal. [12]

Darüber hinaus findet man in den Nutzungsbedingungen weitere Informationen zum Datentracking: „Wenn du unsere Dienste installierst, nutzt oder auf sie zugreifst, sammeln wir gerätespezifische Informationen. Dazu gehören auch Informationen wie das Hardware-Modell, die Informationen zum Betriebssystem, Browser-Informationen, die IP-Adresse, Angaben zum Mobilfunknetz, einschließlich der Telefonnummer, sowie Gerätekennungen. Wir sammeln Standortinformationen des Geräts, wenn du unsere Standort-Funktionen verwendest, also z. B. wenn du deinen Standort mit deinen Kontakten teilst, Orte in der Nähe anschaust, Standorte, die andere dir gesendet haben, anschaust oder Ähnliches und für Diagnosezwecke und zur Problem- bzw. Fehlerbehebung, wenn du beispielsweise Probleme mit den Standort-Funktionen unserer App hast.“ [13]

Whatsapp macht also keinen Hehl aus seiner Datensammelwut – es steht ganz offen in den Nutzungsbedingungen. Aber die liest ja ohnehin keiner.

Ich habe doch den Nutzungsbedingungen widersprochen!

Mit der Erneuerung der Nutzungsbedingungen hat Whatsapp die versteckte Möglichkeit geschaffen, der Datennutzung für Werbezwecke zu widersprechen. Ja, richtig, nur der Nutzung für Werbezwecke konnte man widersprechen. Es handelt sich dabei um nichts anderes als eine Einstellung, dass man keine personalisierte Werbung erhält. Das heißt aber nicht, dass Whatsapp keine Daten mehr sammelt oder weitergibt. Der Widerspruch gegen diese Nutzungsbedingungen ist reine Gewissensberuhigung. [14] [15]

Darüber hinaus besteht der Verdacht, dass die Weitergabe der Daten auch gegen geltendes Recht verstößt. Der Verbraucherzentrale-Bundesverband hat deshalb Anfang dieses Jahres Klage gegen Whatsapp erhoben. [16]

Facebook hat Whatsapp vor drei Jahren für 19 Mrd. Euro erworben. Damals gab es angeblich 450 Mio. aktive Nutzer. [17] Das heißt: Es wurden mehr als 40 Dollar für jeden Nutzer gezahlt.

Wofür so viel Geld? Zur Erinnerung: Die ohnehin geringe Nutzungsgebühr wurde nach der Übernahme ganz abgeschafft, und Werbung wird man auf Whatsapp auch nicht finden. Seit nunmehr drei Jahren keine Einnahmen, nur Kosten?

Es gehört nicht viel Phantasie dazu zu erkennen, dass das Geschäftsmodell von Whatsapp nicht darin besteht, Kommunikationsdienstleistungen anzubieten, denn dann müsste Whatsapp damit natürlich Einnahmen erzielen. Das Geschäftsmodell liegt vielmehr in der Vermarktung von Nutzerdaten. Schon früher hat der Verbraucherzentrale-Bundesverband die Aussage von Facebook, die Nutzung sei kostenlos, beanstandet: Der Nutzer zahlt zwar nicht mit Geld, aber er zahlt mit seinen Daten. [18]

Diese Sichtweise zweifelt heute wohl niemand mehr an. Interessantes Detail in diesem Zusammenhang: In der steuerrechtlichen Literatur wird bereits die Frage diskutiert, ob die Leistungen umsatzsteuerpflichtig werden, weil sie eben nicht kostenlos sind, sondern eine Vergütung mit den Daten erfolgt. Die Steuer müsste Facebook abführen, der Nutzer würde zum vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer. [19]

Auch die kürzlich in der Presse angekündigten kostenpflichtigen Dienste für Unternehmen [20] werden vermutlich nicht ausreichen, 19 Mrd. Dollar wieder einzuspielen. Schwer vorstellbar, dass sich Facebook drei Jahre Zeit gelassen hat, um ein Geschäftsmodell für Whatsapp zu suchen. Das Geschäftsmodell war schon vorher da und wird auch schon genutzt: Es geht um die Vermarktung von Daten.

Warum überhaupt Whatsapp?

Der Siegeszug von Whatsapp wird meist damit begründet, dass die Nutzung so einfach ist. In Windeseile hat man eine Textnachricht, ein Foto, ein Video oder eine Sprachnachricht verschickt.

Das ist teilweise auch richtig. Gerade bei Videos und Sprachnachrichten hat man keinerlei Kompatibilitätsprobleme zu befürchten. Ein Video, dass ich über Whatsapp verschicke, kann der Empfänger mit hoher Sicherheit innerhalb von Whatsapp ansehen, egal mit welchem Betriebssystem das Handy läuft.

Nicht nachzuvollziehen ist aus meiner Sicht allerdings, warum der Versand einer reinen Textnachricht oder eine Bildes über Whatsapp einfacher sein soll als per Mail. Den Text muss ich in beiden Anwendungen eingeben, und ob ich bei einer Mail einen Betreff, eine Anrede und einen Gruß einfüge, ist wie bei Whatsapp meine eigene Entscheidung.

Mails kann ich außerdem auf allen meinen Geräten lesen – und sogar auf fremden Geräten mit Internetzugang. Die Mailprogramme erlauben verschiedene Sortierungen, man kann einfach nachhalten, wo man noch reagieren muss und Anhänge werden originalgetreu übermittelt. Dagegen werden beispielsweise Bilder bei Whatsapp verkleinert – einen Fotoabzug wird man davon nicht mehr machen können. Auch auf die Sortierung der Nachrichten hat man keinen Einfluss.

Ein weiterer großer Vorteil der E-Mail ist die Möglichkeit der zeitversetzten Kommunikation. Als Absender einer Mail störe ich eben gerade nicht im unpassenden Moment mit einer Belanglosigkeit.

Instant Messenger für jede Kommunikation?

Whatsapp ist ein Instant Messenger, also ein Programm zur sofortigen Benachrichtigung. Das heißt, im Normalfall klingelt oder vibriert das Telefon, wenn eine Nachricht eingeht. Die Nachricht bittet um sofortige Aufmerksamkeit. Wenn aber die gesamte Kommunikation über Whatsapp läuft, lassen sich dringende nicht mehr von weniger dringenden Nachrichten unterscheiden – man muss immer sofort reagieren.

Was wird aber tatsächlich über Whatsapp übermittelt? Ich vermute, mehr als 90 % der versandten Nachrichten bedürfen keiner sofortigen Aufmerksamkeit. Es werden in großem Stil Fotos der letzten eingenommenen Mahlzeit, illegal heruntergeladene Youtube-Videos oder vermeintlich lustige Kettenbriefe verschickt. Das erinnert an die Anfangszeit der Mail, als insbesondere Bilder an alle Personen im Adressbuch verschickt wurden, nur weil man es konnte.

Wenn es schon sein muss, warum dann über einen Instant Messenger? Muss ich mir das wirklich sofort ansehen? (In vielen Fällen wird man sich auch die Frage stellen: Muss ich mir das überhaupt ansehen? Aber das ist ein anderes Thema.)

Gibt es ein Leben ohne Whatsapp?

Im Netz gibt es Erfahrungsberichte von Whatsapp-Verweigerern, wenn auch wenige. [21] [22] Und alle haben den Tenor: „Ich bin von der Kommunikation abgeschnitten.“

Auch ich stelle merkwürdige Veränderungen in der Kommunikation fest. Ich schreibe eine Mail – und der Adressat antwortet meiner Frau auf Whatsapp. Ich habe Geburtstag – und jemand schickt meiner Frau ein Video für mich. Dabei bin ich per Telefon, SMS, Mail und auf Wunsch auch Fax oder Threema erreichbar. Und als wir vor zwei Jahren zu unserer Hochzeit eingeladen und um Antwort an unsere gemeinsame Mailadresse gebeten haben, antworteten Einzelne nur meiner Frau per Whatsapp. Offenbar gibt es einen Trend, zuerst das Medium der Kommunikation und dann den Adressaten auszuwählen. Nutzt jemand Whatsapp nicht, wird er eben nicht mehr kontaktiert.

Tatsächlich haben viele in meinem Freundeskreis berichtet, dass sie selbst zur Nutzung von Whatsapp gezwungen wurden. Da ist der Sportverein, die Elternpflegschaft, der Kegelclub usw., und dort wird eben über Whatsapp kommuniziert. Wer nicht mitmachen will, ist ausgeschlossen.

Wenn man die Zahl der Nutzer heute sieht, die faktisch immer stärkeren Druck auf die verbleibenden Nichtnutzer ausüben, muss man wohl sagen: Noch nie haben sich so viele Menschen vor den Karren eines einzelnen Unternehmens spannen lassen!

Reguliert die Messenger!

Was muss sich ändern? Um nicht einem einzelnen Unternehmen so viel Macht zu geben, müssen Whatsapp und Co. meines Erachtens reguliert werden. Das Wichtigste: Wie bei Mails und SMS darf die Kommunikation nicht an der Plattform eines Unternehmens hängen. Die Messenger müssen Schnittstellen schaffen, damit eine Kommunikation auch über die Grenzen der einzelnen Apps möglich ist – damit mir jemand von Whatsapp eine Nachricht zu Threema schicken kann. Auch muss es möglich sein, das Programm zu wechseln und beispielsweise von Whatsapp zu Threema umzuziehen. [23]

Ich hoffe, dass sich die Politik des Themas annimmt und ich nicht vorher doch noch dem Druck der anderen nachgeben muss.

Fußnoten

[1] onlinemarketing.de 09.08.2016
[2] Welt 21.10.2013
[3] Netzpolitik.org 28.06.2016
[4] Die Zeit 24.03.2016
[5] FAZ 24.03.2017
[6] Microsoft 25.03.2017
[7] WDR 11.09.2017
[8] FAZ 20.02.2016
[9] FAZ 09.02.2010
[10] Cash 07.08.2017
[11] Whatsapp, abgerufen 16.09.2017
[12] Computerwoche 27.06.2017
[13] Whatsapp, abgerufen 16.09.2017
[14] Welt 27.08.2016
[15] FAZ 28.09.2016
[16] vzbz 30.01.2017
[17] Stern 20.02.2014
[18] Computerbild 16.10.2015
[19] Der Betrieb 25.08.2017
[20] FAZ 05.09.2017
[21] Leichtlebig 29.05.2014
[22] FAZ 24.08.2017
[23] FAZ 13.09.2016

Nachtrag 10.02.2019: Wer von Whatapp zu einem anderen Messenger wechseln möchte, findet eine Liste z. B. in folgendem Artikel: vpnMentor 15.04.2018. Vielen Dank an Kaylee Ferreira für den Hinweis!

Nachtrag 17.03.2019: Heute habe ich einen neuen Artikel zu diesem Thema veröffentlicht: Thomas Hagemann 17.03.2019.